
Title | : | Eine Formalie in Kiew |
Author | : | |
Rating | : | |
ISBN | : | - |
Language | : | German |
Format Type | : | Kindle Edition |
Number of Pages | : | 177 |
Publication | : | Published January 25, 2021 |
„Eine Formalie in Kiew“ ist die Geschichte einer Familie, die einst voller Hoffnung in die Fremde zog, um ein neues Leben zu beginnen, und am Ende ohne jede Heimat dasteht. Erzählt mit dem bittersüßen Humor eines Sohnes, der stoisch versucht, Deutscher zu werden.
Eine Formalie in Kiew Reviews
-
Ein schmales Buch voller Kalauer, das zunächst nicht recht aus dem erzählerischen Knick zu kommen scheint, sich hinten raus aber als eine vergnügliche und zugleich wehmütige Familien- und Identitätsgeschichte erweist.
-
Das neueste Buch von Dmitrij Kapitelman war einfach nur wie Balsam für meine ukrainische Seele. Für diejenigen, die mit dem Land und dessen Traditionen nicht so vertraut sind, kann es zu einer spannenden Entdeckungstour an Leseerfahrung werden. Von den ersten Zeilen an wurde ich von nostalgischen Gefühlen überflutet, als man den Autor auf der Reise nach Kiew, seiner Heimatstadt, begleitet. Ähnlich zu ihm, habe ich die Ukraine mit meinen Eltern verlassen, als ich gerade 8-9 Jahre alt war. Insofern haben so viele der beschriebenen Erfahrungen für mich zu 100% übereingestimmt: die Verwunderung über das Bestechungssystem, das Misstrauen gegenüber dem Gesundheitssystem, den Spitälern und den Ärzten, aber auch die Herzlichkeit der Ukrainer, von denen man mit offenen Armen aufgenommen wird.Unter uns gesprochen: Auf sich allein gestellt, das ist ein gleichzeitig ermutigender und beängstigender Ausdruck. Immerhin steht man, das ist ja schon was. Man könnte auch auf sich allein gelegt oder gedrückt sein. Und doch ist man eben gestellt, wie ein Verbrecher, gefangen fast.
Als schöner empfand ich immer die russische Aufforderung wsjat sebja w ruki. Sich selbst in die Hände nehmen, mein kleiner germanischer Goldfisch.
S. 31
Das Buch ist mit so viel Gefühl, Selbstreflexion und Wortgewandtheit geschrieben, dass man nach dem Auslesen einfach wieder von vorne anfangen möchte. Beim zweiten Mal fallen einem noch mehr besondere Details auf und man lernt die Schreibkunst des Autors noch mehr schätzen. Die Geschichte nimmt einen auf eine Achterbahn der Gefühle mit: mal schmunzelt man, mal lacht man auf, an einer anderen Stelle, steht man den Tränen nahe. Dmitrij hat wirklich eine Gabe dafür, die Essenz der Menschen einzufangen und sie magisch in Worte zu übersetzen. Während dem Lesen fühlt man sich in eine ganz besondere Atmosphäre versetzt. Manche Beschreibungen fühlten sich so an, als ob man vor einem Gemälde stehen würde und die ausdrucksvollen Gesichter der einzelnen Charaktere vor sich bewundern könnte.Eine Obstverkäuferin harrt so unbewegt aus wie der Zeiger ihrer Waage. [...] Eine zahnlose Händlerin beschneidet mit hängenden Mundwinkeln kleinknospige Rosen. Bindet sie zum Bouquet, setzt sich, trinkt einen Espresso, isst eine Banane, schläft ein. Der Basar schläft, das Viertel schläft, nur die Birken nicht.
S. 55-56
"Eine Formalie in Kiew" ist meiner Meinung nach ein absoluter "Must-Read" für ehemalige Ukrainer, Ukrainer die in andere Länder ausgewandert sind, aber auch diejenigen, die gern etwas über diese fremde Kultur lernen würden. Es ist eine Erzählung, welche die Zerrissenheit zwischen unterschiedlichen Kulturen meisterhaft beschreibt. Das Dilemma der Entdeckung, wo man wirklich dazugehört und was man als seine tatsächliche Heimat empfindet.Unter uns Landsleuten aller Herren Länder gesprochen: Vielleicht sind wir allesamt viel zu vokabelfixiert im Verstehen und läuten die Alarmglocke der Fremdheit beim ersten unbekannten Wort, anstatt kommunizierend die nachfolgenden abzuwarten.
S. 55
Von der ungewöhnlichen Bedeutung des Wortes "normal", bis zu einem kulinarischen "Crash-Kurs" verschiedenster "sowjetischer" Gerichte (leniwiji vareniki = faule Klößchen mit Quark) oder auch eine Einführung in die gängigsten Schimpfwörter - hier wird man Kopf über tief in eine ukrainische Welt eingetaucht.Normalno ist vielleicht das mehrdeutigste Wort der russischen Sprachen. Wenn eine Osteuropäerin beispielsweise sagt: Ich habe zwanzig Jahre lang mit dieser Kollegin gearbeitet. Sie ist ein normaler Mensch. Dann klingt das vielleicht schmallippig, ist aber tatsächlich als höchste soziale Anerkennung zu verstehen. Eine Art Orden. Denn es ist nicht leicht, ein normaler Mensch in einem unnormalen System zu sein. Gleichzeitig kann normalno aber auch gemeint sein, dass gar nichts gut ist.
S. 145-146
Nach dem Auslesen von "Eine Formalie in Kiew", bin ich auf Dmitrij's erstes Buch - "Das Lächeln meines unsichtbaren Vaters" neugierig geworden und freue mich schon, bald einen weiteren Teil des Lebens des Autors entdecken zu können. An dieser Stelle, möchte ich dieses kleine aber feine Buch all denjenigen ans Herz legen, die sich von einer meisterhaft geschriebenen, humorvoll-tragischen Geschichte verzaubern lassen wollen. Von mir gibt es die volle Bewertung von 5 aus 5 ★ und das Buch hat es auf die Liste meiner Lieblingsbücher geschafft!Ihr könnt mehr Rezensionen auf
meinem Bücherblog - KHV Books.com finden -
"Im Russischen sagt man, dass Katzen singen. Koshka pojot. Wenn Katzen für dich schnurren, singen sie für dich. Wem die Katzen schnurren, der ist ein besungener Mensch."
-
3,5*
CW: Rassismus, Krankheit
Aufgrund der aktuellen Situation in der Ukraine habe ich hier bewusst nach einem Buch gegriffen, das in der Ukraine spielt und es war wirklich interessant, mehr über dieses Land zu erfahren. Anfangs fand ich es etwas schwierig, in die Geschichte reinzukommen, weil der Schreibstil nicht so ganz mein Fall war. Besonders verwirrend war für mich, dass alle Charaktere mit vielen verschiedenen Kose- und Spitznamen angesprochen wurden. Das mag zwar realistisch sein, hat mich beim Lesen aber leider oft verwirrt. Ich habe auch nicht ganz verstanden, ob das Buch autobiografisch ist oder es sich um eine Art Erfahrungsbericht des Autors handelt. Jedenfalls heißt der Protagonist genauso wie der Autor, aber das kann natürlich auch andere Gründe haben. Alles in allem war es eine schöne und teilweise traurige Geschichte über Familie und Herkunft. -
Gullideckel, Katzen, die Unwichtigkeit von Nationalitäten und trotzdem die Frage nach Verbundenheit und der Umgang mit Eltern, die einen plötzlich brauchen, wieder Verbundenheit und Wut.
Jeder Satz durchdacht, lustig und traurig zugleich.
Lest. Dieses. Buch. -
Ein großartiger, autobiographischer Roman voll von intelligentem Sprachwitz, vielen Wortneuschöpfungen, Liebe für 2 Staatsleben, Sprache und vor allen Dingen, Liebe für Familie.
Mich erinnert diese Geschichte an Saša Stanišićs „Herkunft“ .
Ich kann sagen, dass ich beide Bücher großartig finde. Habe mir schon ein weiteres Buch von Herrn Kapitelman auf die WuLi gesetzt.
Bin sehr beeindruckt und möchte das Buch gerne noch einmal lesen.
Der Autor hat dem/ der Leser:in hier nicht nur ein Fenster zu seiner eigenen Familie geöffnet, sonder nimmt uns auch noch mit auf eine Reise durch Kiew.
Klare Empfehlung. Für mich ein Jahreshighlight …. Aus ganz vielen, kleinen unterschiedlichen Gründen .
⭐️⭐️⭐️⭐️⭐️ -
Bemüht witzig, gelegentlich seltsame Wortschöpfungen ("ich übersprungshandle uns ein Wasser herbei", "der warme Sommerabend schöpfungssummt"), ein atemloses Erzähltempo – das hat mir alles wenig gefallen.
Nachvollziehen kann ich die Sorgen, die man sich als erwachsener Sohn um die alt gewordenen Eltern macht.
2,5 Sterne -
4,5 :)
-
Eine kluge, humorvolle und warmherzige Erzählung über das Aufwachsen in zwei Staaten, Familienzusammenhalt und Behördenwahnsinn. Hervorragend!
-
“Nichts ist so gleichgültig wie Nationalitäten. Wollen wir wirklich an etwas so Gleichgültigem zu Grunde gehen, liebe Landsleute?”
– so endet dieses Buch und ich behaupte damit trotzdem nicht den Spaß am Lesen zu verderben, sondern er bringt selbst auf den Punkt worum es hier geht.
Man mag es erst nicht glauben, schließlich starten wir mit dem Versuch der Einbürgerung, die der Autor hier versucht zu beantragen. Doch das geht nur, wenn er in sein 'Heimatland' seines 'ersten Staatslebens' zurückkehrt um (wie auch immer) an die nötigen Dokumente zu kommen.
So erleben wir den Kulturschock mit, den ein deutsch sozialisierter Menschen erlebt, als er nach Jahren nach Kiew zurück kehrt. Leser mit ähnlichem Hintergrund werden hier sicher einiges wieder erkennen oder neues erfahren, so wie ich (Kartoffel). Auch ohne den persönlichen Bezug zum Thema bringt der Autor einem sowohl die Skepsis, Belustigung, Angst, aber auch Leidenschaft nahe die er während dieses Aufenthalts empfindet.
Neben der zu meist lustig wirkenden Geschehnisse (die eher einem Wahnsinnslächeln mit Kopfschütteln ähneln) wird hier ein weiteres sehr trauriges Thema angesprochen, was für mich sehr unerwartet kam. Daher möchte ich darauf hinweisen, dass Krankheit von Familienangehörigen ab der Mitte des Buchs zum Fokus wird.
Die ukrainischen Begriffe wurden gut integriert und erklärt für jeden, der nicht ein Wort davon kannte (nur schwierig vorzulesen, was ich getan habe). Die Sprache des Autors hat mich zum Großteil fasziniert, manchmal aber auch etwas zu gewollt, was mich hat straucheln lassen. Grundsätzlich gibt es aber viele Gedanken und Formulierungen, die einen einmal mehr Innehalten lassen.
Sehr zu empfehlen, egal ob man mit seiner Herkunft 'strauchelt' oder nicht; ob man einen Bezug zur Ukraine hat oder nicht! -
Eine Formalie in Kiew
Der Autor und Ich-Erzähler Dmitrij Kapitelman beantragt nach 25 Jahren die deutsche Staatsbürgerschaft. Ursprünglich aus der Ukraine kommend, kehrt er nun dorthin zurück, um eine Apostille (die Beglaubigung seiner Geburt) zu beantragen. Eine Formalie und als kurzer Aufenthalt in Kiew geplant, doch als sein Vater erkrankt und ihm nachreist, wird daraus ein längerer Trip ... Was es mit der Mutter, ihren Katzen und Katzachstan auf sich hat, müsst ihr selbst rausfinden ;)
Kapitelman schenkt uns einen Blick in die Lebenswelt der Kiewer Bevölkerung. Mit Wärme und Ehrlichkeit beschreibt er seine gastfreundlichen Landsleute, entfernte Verwandte, bei denen er mit seinem Vater unterkommt.
Er schildert die Ärzteodyssee, in er es sich bei jedem Arzt mit einem Geldschein " zu entdanken" gilt.
Dennoch besser als in Deutschland, wo der Vater wegen unbezahlter Krankenkassenrechnung trotz Schlaganfall nicht behandelt würde. Und so resümiert Tante Janachka über die deutsche Bürokratie:
„Was ist denn das für ein System, in dem ihr in Deutschland lebt? Wo man so gar nichts mit persönlichen Kontakten und ein wenig Geld regeln kann? Das ist doch unmenschlich! (S.135)“
Der schmale Band ist in locker-lustiger Sprache verfasst und auch wenn er keine epische Handlung aufweist - eher Bericht, als Roman ist - wird deutlich, unsere Wurzeln bleiben in der Heimat verankert. Selbst wenn wir in die Fremde ziehen und das Land für lange Zeit oder immer verlassen - sind sie nicht zukappen oder abzuschütteln. Eine gewisse Verbundenheit bleibt. Und diese Verbundenheit sollten wir achten und respektieren.
Leseempfehlung! -
Sehr gut, sprachlich ungewöhnlich verspielt, zwischen russisch und deutsch vermittelnd. Heiter, schonungslos, liebevoll geschriebene Vergangenheit und Gegenwart in Deutschland, der Ukraine und im Leben zwischen zwei Identitäten.
-
Dmitrij Kapitelman erzählt in diesem Buch anfangs augenscheinlich davon, wie ihn eine Beamte auf dem langen Weg zur deutschen Staatsbürgerschaft in seine Geburtsstadt Kiew schickt um eine Apostille abzuholen. Erwarten wir zu Beginn eine Safari durch den Dschungel der korrupten ukrainischen Bürokratie, ein Pingpong-Spiel zwischen deutschen und ukrainischen Behördenbüros, sind wir doch verwundert, als unser Held in der Mitte des Buches schon das heiß ersehnte Dokument in den Händen hält und zurück in die - ja, ist es Heimat? - aufbrechen will.
Es entfaltet sich erst dann die vom Autor zuvor gesäte Familien- und Individualgeschichte über das Nicht-ganz-ankommen, das Zwischen-den-nationalen-Stühlen-stehen; über das eigene Älterwerden und das Altern der Eltern; darüber, wie Migrationsgeschichten Familienbiographien zerrütten können.
Der Autor zeichnet in einer satirischen Art, wie nur die echte Welt sie an den Tag zu legen vermag, pointierte Charaktere aus zwei Ländern, zeigt, wie Nationalität Lebensentwürfe und Alltagsphilosophie beeinflusst.
Kapitelmans Griffe in seinen Werkzeugkasten, der zur Hälfte mit Alliterationen befüllt zu sein scheint, führen dabei nicht nur Passendes zutage; bisweilen wirkt seine Sprache konstruiert, er scheint beim ganzen Spaß am Schreiben manchmal ein bisschen zu viel zu schreiben und ein bisschen zu wenig zu meinen, bedient sich auch seiner eigens platzierten Running-Gags ein paar Mal zu häufig. Ansonsten kann er aber mit einer bebilderten, den Humor im Schmerz findenden Sprache aufwarten, die tief blicken lässt und dabei Freude bringt.
Wer sich hier über eine langweilige Story beklagt, der verkennt das Leben. -
Uff
-
Ausgerechnet um deutscher Staatsbürger zu werden, muss Dmitrij in sein „erstes Staatsleben“ zurückkehren und in seine Geburtsstadt Kiew reisen. Die deutsche Bürokratie fordert: eine erneuerte Geburtsurkunde und eine Apostille (die behördliche Bestätigung einer behördlichen Bestätigung durch die nächsthöhere Behörde), die er in Kiew bekommt.
Gedanklich geht er bereits Bestechungsszenarien durch, die ihm für den Erhalt der Dokumente hilfreich sein könnten. Doch entgegen seiner Bedenken erhält er seine Unterlagen bestechungsfrei und problemlos.
Unterdessen unternimmt Dmitrij eine persönliche Reise durch Kiew, trifft sich mit einem alten Spielplatzkumpel und flaniert durch die „Stillstandziegel“ der Innenstadt.
Gerade als sich Dmitrijs behördliche Sorgen in Wohlgefallen auflösen, erhält er vor Abreise einen Anruf seines Vaters. Etwas konfus erzählt er, dass er unterwegs nach Kiew sei, weil er neue Zähne braucht, und in Deutschland seit seine Krankenversicherung nicht gezahlt hat.
Da Dmitrij aufgrund familiärer Streitigkeiten keinen Kontakt zur Familie pflegt, sehen sich Vater und Sohn am Flughafen erst nach längerer Zeit wieder, als Dmitrij ihn zusammen mit Freunden der Familie abholt.
Es wird schnell klar, dass neue Zähne das geringste gesundheitliche Problem des Vaters sind. Dmitrij sieht sich nun einer weitaus wichtigeren Herausforderung gegenüber: dem Vater vor Ort eine schnelle und gute medizinische Versorgung zu ermöglichen und sich mit seiner Familie auseinanderzusetzen.
Highlight! Durch Dmitrij habe ich begriffen, dass Migration kein Lebensabschnitt ist, den man einfach abschließen kann. Kapitelman schreibt auf eine so ironisch-humorvolle Art seine persönliche Geschichte nieder, lässt keine gute Pointe links liegen und arbeitet gleichzeitig Themen wie Herkunft, Familie und unterschiedliche politische Strukturen gekonnt auf, so dass sein Werk neben dem unschlagbaren Witz auch noch einen wirklich wichtigen Bildungsauftrag erfüllt. -
Ein schmales Büchlein, das aber umso beeindruckender und berührender ist.
-
Ich habe das Buch 2022 gelesen, es ist 2021 erschienen. Ein popliges Jahr, und es erscheint dennoch wie der Blick in eine andere Welt, in eine andere Zeit. Putins Russland hat die Ukraine überfallen, die Truppen stehen in Kiew, wo dieses Buch spielt, und man weiß nicht warum, noch viel weniger, wenn man dieses Buch gelesen hat, diesen Blick auf ein ehemaliges Heimatland von Dmitrij Kapitelman, seinen deutschen Blick auf die Ukraine, wo er herkommt, womit ihn nur Kindheitserinnerungen verbinden, wo er nun hinreist, 25 Jahre später, um eine Geburtsurkunde beglaubigt zu bekommen, um endlich deutscher Staatsbürger werden zu können.
Kapitelman hat einen wunderbaren Stil: unterhaltsam, blumig, manchmal etwas schräg, er schreibt "außer uns gesagt", wenn andere "unter uns gesagt" sagen/schreiben würden, er schreibt über seine Mutter, als diese jung war: wenn ein Mann sie langweilte, so weilte sie nicht lang bei ihm. Er nennt das Haus seiner Eltern "Katzastan", weil seine Mutter so viel Katzen hat. Er stellt sich vor, dass Frau Kunze von der Einwanderungsbehörde mit dem "Ausländicopter" vorbeikommt. Und die Korruption in der Ukraine ist nicht "schmieren", sondern "entdanken" - das womöglich eine Übersetzung der gängigen ukrainischen Wendung, aber auch so passend.
Es macht Spaß, das zu lesen, bei seiner Geschichte dabei zu sein. Und man lernt eine Menge über das Land, wie alle fluchen, wie verpönt es ist, Russisch zu sprechen, aber wie lustig es die Leute finden, dass sein Russisch sich so sowjetisch anhört. Wie gar nicht und dann doch wieder korrupt das System ist, wie die Leute über ihre Präsidenten sprechen, den Komiker, den Pralinen-Fabrikanten, den allerkorruptesten davor. Wie großzügig und herzlich die Leute sind, wie Dmitrij auf einmal zur Famlie, Zoja und Andrej, Freunde seiner Eltern, gehört, sogar zu Tante Jana, obwohl die mit Zoja und Andrej auch nicht verwandt ist.
Vor ein paar Wochen noch wäre dieses Buch eine vergnügliche Lektüre gewesen, lustig, leicht, auch ernst, flott durchzulesen. Der Krieg ändert diese Perspektive. Es zehrt am Herz, sich vorzustellen, dass die Welt, die in diesem Buch geschildert wird, gerade von Bomben zerrissen wird, ohne wirklichen Grund. -
Nach 25 Jahren in Deutschland und der Beobachtung der unsäglichen politischen Entwicklungen insbesondere im Osten beschließt der Autor sich nun endlich um die Staatsbürgerschaft des Landes zu bemühen, in dem er aufgewachsen ist und sich zu Hause fühlt. Mit der Ukraine verbindet ihn nicht mehr viel, dennoch muss er nach Kiew reisen, um dort eine neue Geburtsurkunde und eine Apostille zu besorgen. Schon seit vielen Jahren war er nicht mehr dort, manche Straßenzüge gleichen noch jenen seiner Kindheitserinnerungen, andere sind nicht wiederzuerkennen. Er sucht die alte Wohnung seiner Familie auf, in der tatsächlich im Kinderzimmer noch immer derselbe Teppichboden liegt. Auch alte Freunde und Verwandte trifft er wieder, immer auch mit der Sprache kämpfend, die ihm fremd geworden ist. Wundersamerweise sind seine Dokumente zügig fertig und er will schon die Rückreise antreten, doch dann kündigt sein Vater sein Kommen an und macht dabei einen völlig verwirrten Eindruck. Dies bestätigt sich rasch: offenbar die Folgen eines Schlaganfalls, also muss er sich erst einmal um die Gesundheit des alten Mannes kümmern.
Kapitelmans Reise nach Deutschland beginnt wie viele in den 1990er Jahren. Als jüdische Kontingentflüchtlinge konnte die Familie in den Westen kommen, wo sich jedoch die Hoffnungen und Erwartungen nur bedingt erfüllten. Bald schon verklären die Eltern die alte Heimat, was zu einem unweigerlichen Bruch zwischen den Generationen führt: die Kinder finden sich zügig ein, leben unauffällig wie ihre deutschen Freunde, doch die Eltern bleiben immer ein Stück weit noch in der Vergangenheit verhaftet. Die Reise in das Geburtsland wird dann zu einer Entdeckungsreise in die Fremde, nicht nur Sprache fehlt, sondern auch die Gepflogenheiten müssen die Kinder sich mühsam aneignen. Kapitelman schildert dieses Erlebnis mit einem lockeren Ton, der von feiner Ironie geprägt ist, die jedoch die Zwischentöne nicht verdeckt, sondern eher noch schärft.
Zunächst dominiert der Behördenirrsinn, der als Ausgangspunkt für die Handlung dient. Sowohl auf deutscher wie auch auf ukrainischer Seite verwundert so manche Paragrafenabsurdität, hierzulande geprägt von rigider Formalität, dort von „Entdankungen“, der zufälligen Beigabe von kleinen und größeren Geldgeschenken, die Vorgänge nicht nur beschleunigen, sondern überhaupt erst ermöglichen. Die Entfremdung von der Heimat, der Verlust der Sprache – wobei dies in einem zweisprachigen Land, das sich auch noch im Krieg befindet und wo die Verwendung der „falschen“ mit nicht wenigen Vorbehalte einhergeht – die unterschiedlichen Lebensbedingungen und Lebensentwürfe: Kapitelmans schildert seine Eindrücke und Begegnungen authentisch und lebhaft und lässt den Leser an seinen Gedanken teilhaben.
Mit dem Erscheinen des Vaters verschiebt sich der Schwerpunkt, weniger die Begegnung mit dem Fremden steht im Vordergrund als viel mehr der schwierige Umgang mit dem Vater, der nicht mehr der Mann ist, den er kannte. Einfachste Fragen werden zu großen Hürden, die Hände und Füße wollen nicht mehr wie gewohnt gehorchen und die bittere Wahrheit kann kaum mehr verleugnet werden. Der Autor muss nicht nur seine Geburtsstadt neu kennenlernen, sondern auch seine Eltern, denn diese sind ebenso nicht mehr diejenigen, die sie einmal waren.
Auch wenn viele Themen eher trauriger Natur sind und nachdenklich stimmen, lebt der Roman doch von einem heiteren Ton, der insbesondere die alltäglichen Absurditäten pointiert wiedergibt. Immer wieder muss man schmunzeln, obwohl die Lage eigentlich ernst ist. Dmitrij Kapitelman gelingt so eine Liebeserklärung an Kiew und seine Bewohner und eine unterhaltsame literarische Spurensuche nach seinen Wurzeln, die er schon vertrocknet glaubte und die ihn unerwartet seinen Eltern wieder ganz nahe bringt. -
Acht Jahre war Dmitrij Kapitelman alt, als er Mitte der neunziger Jahre mit seiner Familie als Kontingentflüchtling aus der Ukraine in Deutschland ankam. Mittlerweile ist er 34 und denkt, dass es an der Zeit ist, die deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen. Gedacht, getan, die benötigten Dokumente hat er beisammen. Aber er hat nicht mit der deutschen Bürokratie gerechnet, die zusätzlich noch eine Apostille braucht, sprich ein Beglaubigungsdokument, das deren Echtheit bestätigt. Mir fiel dazu sofort der Songtext von Reinhard Meys „Ein Antrag auf Erteilung eines Antragformulars ein“. Und diese Apostille gibt es nur in seiner Geburtsstadt. Also macht er sich auf nach Kiew, versehen mit den guten Ratschlägen seiner Eltern.
Diese Reise in die Vergangenheit ist bittersüß. Es sind nicht nur die Erinnerungen, die er mit der Realität abgleicht, sondern auch das, was ihm über die Ukraine vermittelt wurde. Und gleichzeitig wird ihm immer mehr die Kluft bewusst, die sich zwischen ihm, dem „Demokratiedeutschen“ und seinen Eltern aufgetan hat.
Die Eltern, die eigentlich nie wirklich in Deutschland angekommen sind, noch immer in diesem Niemandsland zwischen alter und neuer Heimat hängengeblieben sind, ihre Identität und sich selbst verloren haben. Die Mutter, die kein Interesse mehr an dem hat, was um sie herum geschieht und deren Lebensinhalt mittlerweile nur noch die unzähligen sibirischen Katzen sind, mit denen sie sich umgibt. Der Vater, dem seine einstige Fröhlichkeit und Aufgeschlossenheit abhanden gekommen ist und der sich mehr und mehr in sich selbst zurückzieht, in ein Land, zu dem nur er Zugang hat.
Auch wenn Kapitelman ein guter Beobachter ist, mit Wortwitz und Ironie die Absurditäten der ukrainischen Gegenwart analysiert, so liegt doch über all dieser Unbeschwertheit eine tiefe Traurigkeit. Und so wird aus dieser Suche nach den Wurzeln eine berührende, nie kitschige Liebeserklärung an seine Eltern, denn jetzt versteht er. -
Świetna! Kapitelman pisze o tym, co to naprawdę znaczy być wykorzenionym: wemigrować do innego kraju i nigdy nie stać się "tubylcem", o tym szczególnym zawieszeniu między dwoma światami, dwoma językami, dwoma kulturami, sposobami myślenia i odczuwania, który w całości zrozumieć może tylko ten, kto tego doświadczył. Cóż, ta książka pomaga w tym zrozumieniu. W dodatku jest napisane niezwykle lekko, z tą charakterystyczną ironią, którą tak uwielbiam. I wielkim ładunkiem emocji, żeby nie było, że tu cały czas jakieś heheszki mają miejsce. Kapitalman porusza wielkie tematy - relacje dorosłego dziecka ze starzejącymi się rodzicami, tożsamość narodowa, przynależność i wykluczenie, dwujęzyczność i bezjęzyczność - a wszystko to z wyjątkową wrażliwością i wyczuciem. Ach, i jeszcze jedno: zjawiska, o których on tu pisze, zwłaszcza te jego przeżycia w Ukrainie, to już jest wyższa szkoła jazdy dla tych, którzy chcą zrozumieć myślenie wschodniej Europy. No bo jak tu wytłumaczyć obcemu, że coś (rzecz, budynek, kraj) się trzyma na słowo honoru?
Trochę strzelałam w ciemno, kupując tę książkę, a tu proszę. Trafiony zatopiony. -
Kleine feine Erzählung über einen jungen Mann und seine Familie, die aus der Ukraine nach Deutschland zog und eine Reise nach Kiew, um diverse Papiere zu besorgen, die für den deutschen Staatsbürgerschaftsantrag nötig sind.
Kapitelman schreibt witzig und zärtlich über inner-familiäre Dynamiken, Migrationserfahrungen und Inklusions-Barrieren, deutsche und ukrainische Behörden, Praxen des "Entdankens", "Fragfürchtens" und "Übersprungshandelns", ist generell erfinderisch im Worte kreieren, was beim Lesen meistens Spaß macht - mir jedenfalls - auch wenn die einen oder anderen Kalauer oder Klischees auch kritisch gesehen werden können. -
Dima ist als kleiner Junge mit seiner Familie aus Kiew nach Deutschland gezogen und unterscheidet diese zwei Leben als erstes Staatsfamilienleben und zweites Staatsfamilienleben. Als Erwachsener muss er, zum ersten Mal seit seiner Kindheit, erneut nach Kiew, denn er will die deutsche Staatsbürgerschaft und dafür braucht er Dokumente aus seinem Geburtsland. Was auf den ersten Blick nicht so spektakulär scheinen mag, ist die tragikomische Geschichte einer Migration, die voller sprachlicher Ü-Eier steckt.
So kritisiert der Protagonist seine Heute-Mama (im Unterschied zur Damals-Mama in Kiew) für ihre Fokussierung all ihrer Liebe auf Katzastan - den Katzenharem, den sie sich geschaffen hat. Das schwierige Verhältnis zwischen Mutter und Protagonisten wird genauso unterhaltsam und zugleich tragisch geschildert, wie auch die Erkrankung des Vaters oder die Korruption in der Ukraine.
Dmitrij Kapitelman hat mit 'Eine Formalie in Kiew' ein sprachlich hervorragendes Werk geschrieben, das trotz der Kürze des Buchs die Vielschichtigkeit einer Migration zeigt, mit all den ambivalenten Gefühlen gegenüber dem, was man hinter sich lassen wollte und zu dem man sich doch hingezogen fühlt.
Da auch die Kapitel meist schön kurz sind, eignet sich das Buch sehr gut zum Vorlesen. Und falls ihr euch wundert, warum ich so überschwänglich bin: Nein, Dmitrij Kapitelman hat mich für diese Rezension nicht 'entdankt'. War auch nicht nötig, denn ich liebe es wirklich sehr! -
[3,5]
“>Der ist Deutscher. Und bald hat er es sogar schwarz auf weiß.< wiederholt sie. Warum jetzt, in diesem Moment? Was spielt unsere Nationalität an diesem Tag für eine Rolle? Warum kann ich nicht einfach ihr Sohn sein?” uff :’)
Zufällig in der Buchhandlung gesehen, dass die Paperback Version diesen Monat erschienen ist und,,,ich konnte nicht anders. Leider hat es nicht ganz für die 4 Sterne gereicht, wahrscheinlich aber eher, weil ich mir,,,,was anderes unter dem Buch vorgestellt hatte? Es befasst sich definitiv mehr mit Familie und Krankheit als erwartet T_T -
Ein wirklich tolles Buch, dass am Ende so viel mehr ist als es am Anfang zu sein scheint.
Es erzählt von deutscher Bürokratie, ukrainischer Bürokratie und Korruption,
Familiendramen,
der Frage nach Zugehörigkeit und Staatsangehörigkeit,
Ausgrenzung,
den wunderschönen Seiten der Stadt Kiew,
Kindheitserinnerungen,
der Realisation, dass sich alles Verändert und doch irgendwie gleich bleibt,
Schicksalsschlägen,
Zusammenkunft und Vertragen
Und Katzen! 🐈⬛